Das Wichtigste vorne weg: Ich fühle mich in Nicaragua pudelwohl. Und das ist schwer zu beschreiben, ich hab im Blog ja schon mehrmals drüber geschrieben, entweder fängt dich ein Land oder nicht. Und das sind natürlich Kleinigkeiten und höchst subjektiv, aber mein Vermieter auf Ometepe (genannt “Che”) war ein super netter und hilfsbereiter Argentinier. Schräger Kerl, ein Aussteiger, irgendwo zwischen heruntergekommen und voll entspannt, aber er war extrem zugänglich, meinte gleich mal dass ich mein Spanisch üben muss und wir deshalb spanisch reden und war extrem hilfsbereit. Wirklich extrem. Du fragst ihn irgendwas und im nächsten Moment ruft er schon jemanden an um zu helfen. Hab mich da wirklich wohl gefühlt und Ometepe ist sowieso die entspannte Hippie-Insel par excellence. Das waren super Tage - auch ohne meine Frau.
Ich bin dann aber nach drei Tagen zu Steffi nach Granada gefahren. Und die Fahrt war unvergesslich. Ich frag Che, ob es eigentlich Busse gibt, denn mein Transfer-Tag - in Nicaragua lustigerweise “Tag der Arbeiter”, also doch etwas anders in der Diktion als in Österreich - ist der erste Mai und damit ein Feiertag. Er hat dann herumtelefoniert und schlussendlich hat mein Motorrad-Verleiher mir den Transport recht günstig angeboten. “Mototaxi!” Ich hab noch gemeint, dass ich einen großen Backpack habe, aber ist ja alles kein Problem. Schlussendlich saß ich hinten auf einem Motorrad, den großen Backpack am Rücken, er meinen kleinen Rucksack vorne umgeschnallt und so gings die 30km zur Fähre.
Am Festland war dann Nicaragua wie es leibt und lebt. Drei Typen bestätigen mir, dass es keine Busse gibt, weil Feiertag - und jeder bietet (natürlich gegen Geld) seine Hilfe an. Und das nervt hier schon, man muss überall misstrauisch sein. Das ist hier Asien-Level, nur noch etwas drunter, gerade auf den Touristenrouten wird gelogen was das Zeug hält. Komme also zum Busbahnhof und die große Herausforderung: Es gibt hier nichts, was irgendeinen offiziellen Charakter hat. Keine Anzeigetafeln, keine Ticketschalter - nichts. Man kommt nur durchs Reden durch. Also beim Aussteigen ausm Taxi vom Hafen gleich einen Typen an der Backe, der ein Collectivo (Sammeltaxi) angeblich hätte. Fünf Minuten später finden sich natürlich keine Touristen und er hat einen Freund mit einem Auto, der mich transportieren kann. Zu meinem Glück hat mir mein erster Taxifahrer einen Referenzpreis genannt - dieser neue Fahrer will das Vierfache. Verhandlung, hin und her, ich steige aus, er stirbt bei meinen Preisvorschlägen und wir einigen uns auf einen Preis.
10 Minuten Fahrt, ein nettes Gespräch und mitten auf einer Brücke bleibt das Taxi liegen - nichts ging mehr. Abgeschleppt von einen Klein-LKW, mein Fahrer versucht sein Auto zu reparieren, aber - rien ne vas plus. Also von meinem Fahrer ein anderes Taxi organisiert und kaum steige ich dort ein… überholt uns der Bus, den es heute angeblich nicht gibt.
Und das ist das Thema für mich: Ich weiß nicht, wie ich sowas verhindern kann. Ich denke ich bin nicht der naivste Tourist, war doch schon in einigen Ländern, wo es nicht ganz so einfach ist, aber manchmal ist man schlicht hilflos. Und am Ende macht es für mich schon auch den Reiz solcher Länder aus: Sie sind wirklich billig, aber sie versuchen bei jeder Gelegenheit dich “auszunehmen wie eine Weihnachtsgans”.
Ich bin ihnen da nicht böse, sehe das irgendwie sportlich. Ich weiß ja, dass jeder mich abzocken möchte und dann ist es ein wenig wie ein Spiel. Als extranjero kannst sowieso nur versuchen irgendwie durchzukommen.
Zurück zum Land und den Städten. In Nicaragua gab es drei Kolonialstädte der Spanier: Granada, León und Bruselas, wobei letztere nach wenigen Jahren verfiel. Die anderen beiden haben wir besucht.
Granada ist eine schöne Kleinstadt (~100.000 Einwohner), die drittgrößte Stadt Nicaraguas. Sie liegt am Nicaraguasee und hat eine wunderbare Altstadt samt vieler, vieler Kirchen.
Granada ist da wirklich beeindruckend, man spaziert durch die Stadt und denkt sich nicht, dass man in Nicaragua ist: Das könnte genauso spanisches Hinterland sein. Die Architektur, das Gefühl - ein (zugegeben armes) Abbild von Spanien, schöne Fassaden und noch beeindruckendere Innenhöfe.










Mir war wirklich nicht bewusst, wie mächtig Spanien zwischen dem 16. und 19. Jhdt war, aber das ist wirklich irre. Man ist Tausende Kilometer von Europa entfernt und es fühlt sich an, wie wenn man in Spanien wäre. Spannend ist vor allem, dass die Stadt zweimal zerstört wurde: 1685 von einem englischen Freibeuter und 1856 von einem Söldner im Dienst des amerikanischen Filibusters William Walker - dieser kam uns schon einmal in Costa Rica unter, da er auch Costa Rica erobern wollte und vernichtend geschlagen wurde.
Kirchen sind hier an jeder Ecke und eine schöne Fußgängerzone führt zum Nicaraguasee. Wir hatten aber schon den Eindruck, dass das eher die “Touristengegend” ist, wobei hier schon auch viele Touristen entweder aus dem eigenen Land oder auch aus Guatemala oder El Salvador kommen.





Wie in ärmeren Ländern üblich, richtig viel Leben spielte sich am lokalen Markt ab.





Ich hatte immer das Gefühl, dass es irgendwie zu wenig Touristen für zu viele Tour-Anbieter gab. Ständig wird man angesprochen und gefühlt jeder Zweite will eine Tour verkaufen. Aber mein Wohlfühlen in Nicaragua steigert da die Toleranz, denn niemand ist “ungut” oder penetrant, man wird einfach oft angesprochen. Und man spürt die Armut hier sehr. Ich hab einen langen Spaziergang durch die Stadt gemacht und man sieht viele Personen einfach herumsitzen und nichts tun. Es hat schon auch etwas Trostloses, weil mir die Menschen da leid tun. Ich hab mich in Nicaragua nie unsicher gefühlt, das sind keine Situationen, wo man Angst haben muss (denke ich halt), aber die Leute wollen Geld verdienen und es scheint wenige Möglichkeiten dafür zu geben.
Nach Granada sind wir nach León weiter gereist und da war die Fahrt ebenso reibungslos wie anstrengend. Denn wenn man nicht wie ein Einheimischer aussieht, dann gibt es andere Preise. Wir mussten zuerst nach Managua. Von der Hauptstadt hat uns jeder abgeraten, den wir getroffen haben. Aufgrund der Landflucht dürfte Managua einfach nur ein unattraktiver Moloch sein - zumindest erzählte man uns das so. Also mit dem Bus nach Managua, Preise verhandeln wie überall, aber alles hat geklappt, und weiter nach León im Norden Nicaraguas.
Ein kleines Erlebnis aus Managua vom Bus-Umstieg. Busbahnhöfe sind nicht unbedingt schöne Orte, aber gerade in Nicaragua will man da eher schnell weg. Viele Straßenverkäufer und die Donuts bei einem Verkäufer schauen wirklich gut aus. Wir kaufen einen und kommen mit dem Verkäufer ins Gespräch. Er spricht perfektes Englisch und erzählt, dass er in Los Angeles aufgewachsen ist, aber dann wegen seiner Gangzugehörigkeit abgeschoben wurde. Und er halt überleben muss, Donuts aus den USA kennt und deshalb hier so arbeitet. Er wollte kein Geld, hat nicht irgendwie geschnorrt, aber er hat sich intensiv bemüht uns zu helfen (Preise für den Bus - eh schon wissen) und war aus meiner Sicht einfach glücklich mit jemandem “aus seiner Kultur” zu sprechen. Wir haben vielleicht 5 Minuten mit ihm geredet, aber er hat extrem sanft und bedacht gewirkt - wie wenn er einfach nicht nach Nicaragua gehören würde. Und ich hab das im Kopf, denk drüber nach und überleg, dass man vielleicht oft vorschnell urteilt: “Der gehört weg!”.
Schlussendlich war auch dieser Weg problemlos und wir sind gut in León angekommen.
León ist eben wie gesagt die zweite Kolonialstadt der Spanier in Nicaragua und auch die zweitgrößte Stadt Nicaraguas nach Managua. Übrigens ist das heutige León nicht dort, wo es die Spanier damals gegründet haben, denn die Stadt wurde 30km entfernt im Jahr 1529 gegründet. Als 1609 aber der Vulkan Momotombo ausbrach und die Stadt zerstörte, entschloss man sich, sie an anderer Stelle aufzubauen. Das Ruinen des alten “León viejo” sind heute ein UNESCO-Weltkulturerbe.
Ursprünglich war León die Hauptstadt Nicaraguas, da dort die Unabhängigkeitsurkunde Nicaraguas von Spanien unterzeichnet wurde. Der Status der Hauptstadt Nicaraguas wechselte dann aber immer wieder zwischen Granada und León hin und her - schlussendlich einigte man sich auf Managua, das ziemlich genau in der Mitte zwischen diesen beiden Städten liegt. Dennoch sind sich die beiden Kolonialstädte Granada und León noch immer nicht grün und die Sticheleien beziehen sich auf das, was hier vorherrscht: Kirchen! So gibt es in León mehr Kirchen und die Kathedrale von León befindet sich auf dem nicaraguanischen 500 Córdoba-Schein, während jene von Granada nur am 100 Córdoba-Schein abgebildet ist. Wer ist also heute wichtiger? Tja, als Extranjeros haben wir dazu keine Meinung, beide Städte sind sehr schön, wir haben uns in Granada etwas wohler gefühlt, auch wenn León vielleicht schöner ist. Damit ein neutrales Unentschieden von unserer Seite.
DIE Sehenswürdigkeit ist die angesprochene Kathedrale, herrlich weiß getüncht.





In León haben wir wieder unsere typische Walking Tour gemacht und rein touristisch dominieren auch hier wieder die Kirchen.








Für uns beeindruckender war aber die Offenheit unseres Guides, der gebildet und auch weit gereist war, aber viel über die Geschichte und die aktuelle Politik Nicaraguas erzählte. Es ist mehr oder weniger eine Diktatur und unser Guide meinte, dass er im Land bleiben möchte, da er für niemanden zu sorgen hat und es Menschen braucht, denen es noch wichtig ist, dass es Wahlen gibt - er sieht es als Verpflichtung seinem Land gegenüber. Vielen Nicaraguanern sind Wahlen inzwischen egal, da man von Rechtmäßigkeit weit entfernt ist und viele einfach resignieren. Wie gesagt, die letzte Wahl wurde international als “Farce” und “Schauspiel” eingestuft.
Solche Erlebnisse machen uns immer nachdenklich, aber auch das gehört zum Reisen dazu, wir wollen ja mehr über andere Länder erfahren und da gibt es leider nicht nur Sonnenschein. Wir kämpfen auch nach wie vor mit der Armut in vielen Gegenden, bettelnde Kinder, Behinderte oder alte Menschen gehören da leider dazu. Wir versuchen immer so respektvoll wie möglich zu sein, aber wissen nicht, was der optimale Umgang ist.
Einem bettelnden Kind (vielleicht 10 Jahre alt, zerschlissene Kleidung, keine Schuhe, offensichtlich allein auf der Straße lebend) haben wir in León ein Essen im Lokal bestellt. Haben wir die Welt damit besser gemacht oder nur unser Gewissen beruhigt? Ist es fair gegenüber anderen Kindern, die an irgendwelchen Ständen arbeiten, aber nichts bekommen, weil sie nicht so arm ausschauen? Wir können es selber nicht sagen, wir sind vieles in dieser Form einfach nicht gewohnt.
Hartes Cut, das gehört auch zum Reisen. Denn zum Abschluss unserer Tour durch Nicaragua haben wir dann noch etwas gemacht, das hier zum Pflichtprogramm jedes Backpackers gehört: Den aktiven Vulkan Cerro Negro zu besteigen und auf einem Holzbrett wieder runter zu rutschen.
Das ist irgendwie genau so verrückt wie es sich anhört. Der Cerro Negro ist 728m hoch und tatsächlich aktiv, zuletzt im Jahr 1999 ausgebrochen, aber seine Eruptionen lassen sich ganz gut vorhersagen und daher kann man ihn ganz gut besteigen. Und aufgrund seiner gleichmäßigen Form auch gut hinunterrodeln.
Das hat dann so ausgesehen: Man fährt mit einem Chicken Bus etwa eine Stunde zum Vulkan. Ungefähr eine Stunde braucht der Aufstieg…




Dann zieht man seinen Anzug (aber keine wirkliche Schutzausrüstung) an, bindet ein Bandana als Schutz vor dem Staub und kleinen Steinen um und setzt sich eine Skibrille auf…







…und dann einfach aufs Brett setzen und runter brettern. Samt einer riesigen Portion Stolz hinterher.





Wir sind ja schon die Sanddünen in Peru hinuntergerutscht und ich hätte mir das ähnlich vorgestellt, aber da gabs drei zusätzliche Faktoren: Die Abfahrt war deutlich länger, deutlich steiler und Vulkangestein ist um einiges härter als Sand. Ich hab mir fast in die Hose gemacht, aber es war ein herrliches Erlebnis.