Taiwan ist uns ja irgendwie “passiert” - ähnlich wie es schon in anderen Ländern der Fall war: Aus einem “schau ma uns das mal an” wurde ein “geil, da wollen wir mehr sehen” und plötzlich sind wir länger unterwegs. Und natürlich ist das eine nicht ernst gemeinte Beschwerde, denn das ist, was unsere lange Reise für uns genial macht: Die Flexibilität “mal zu schauen” und darauf aufbauend auch mal länger zu bleiben.
Taipei hat uns super gut gefallen und es hatte für mich den ärgsten Wow-Effekt seit meinem ersten Besuch in Asien. Südamerika ist natürlich anders als Europa, aber durch die spanische Kolonisierung ist vieles dann doch irgendwie ähnlich zu Europa. Wir kennen die Länder Südostasiens, aber das ist hier schon nochmal eine andere Liga, weil einfach extremer. Weder in Thailand, Kambodscha, Laos oder Vietnam - und nicht einmal in Myanmar - hatten wir große Probleme irgendwas zu lesen, da gab es alles auf Englisch. Und auch die Menschen sind halt irgendwie freundlich zurückhaltend asiatisch und ich hatte da kaum mal einen Kulturschock. Aber hier in Taiwan empfinde ich es als extrem, sowohl was das Outfit der Menschen als auch die generelle Erscheinung der Städte angeht. Überall sind irgendwelche Zeichentrick-Figuren oder Katzenbilder zu sehen - ich weiß gar nicht, was ich zuerst fotografieren soll. Dazu, wie schon erwähnt, die Schrift, die man nicht lesen kann, es fühlt sich teilweise an, wie wenn man im Rausch durch eine fremde Welt wandeln würde. Drum wollten wir davon mehr erleben.
Unsere nächste Station war also Taichung, eine Industriestadt mit knapp 3 Millionen Einwohnern etwa 160km südlich von Taipei. Taichung an sich hat wenig Sehenswürdigkeiten, aber ist der Ausgangspunkt für Touren zum Sun Moon Lake (“Sonne Mond See”), einem beliebten taiwanesischen Tourismusziel. Dieser See liegt auf 760m Seehöhe und entstand in der heutigen Form erst 1934. Vorher gab es hier zwei Seen, deren Ufer die Form von Sonne und Mond hatten, die Kolonialmacht Japan baute aber ein Kraftwerk und das gestaute Wasser führte zum heutigen Sun-Moon-Lake.
Abgesehen davon, dass diese Region wirklich schön ist und ein wenig an das Salzkammergut erinnert, lieben Taiwanesen diese Region, weil es hier (etwas) kühler als im Flachland ist. Dazu gibt es ein Tourismus-Argument: CNN hat den Radweg um den Sun-Moon-Lake im Jahr 2017 unter die zehn schönsten Radrouten der Welt gewählt.



Das mit dem Radweg, selbst ohne Österreicher-Brille, ist völliger Unsinn. Die Gegend ist wirklich malerisch schön und der Radweg über weite Strecken auch, aber man fährt sehr wohl einige Kilometer auf der Bundesstraße (was aber angenehmer ist als in Österreich, da in Taiwan sehr rücksichtsvoll und langsam gefahren wird) und teilweise muss man sein Rad über Rampen schieben - da ist jeder Radweg in Österreich schöner. Ich bin letzten Sommer um den Mondsee geradelt und hab gemotschgert, wenn ich mal ein paar Meter auf der Bundesstraße fahren musste. In aller Kürze: CNN, eure Wertung ist ein Blödsinn.
Nichtsdestotrotz war die Umrundung ein tolles Erlebnis. Aber auch hier ein kleiner Ausflug zu unserer Naivität bzw. Arroganz: Es gibt zwei relevante Orte am See, im Norden Shuishe und im Süden Ita Thao - zweiterer Ort ist ursprünglicher, aber schwerer zu erreichen, da alle Shuttle Busse nach Shuishe gehen - drum war unser Quartier in Shuishe. Und dort schaut der Radweg wie ein entspannter Ausflug aus. Die Radwege sind ziemlich voll und es gibt zwei Arten von Radfahrern: Jene, mit Topausrüstung und Rennrädern und die Spaßurlauber mit Elektrorädern - wobei das eigentlich Elektro-Mopeds sind, denn ich sah da niemanden treten. Und die zweite Kategorie, wie soll ich das sagen, bei vielen Asiaten fragt man sich schon, wie sie eigentlich durchs Leben kommen ohne einfach beim Gehen zu sterben. Ungeschickt ohne Ende, auf Fahrrädern wirklich eine Gefahr für die Menschheit. Drum Steffi und ich: “Wir nehmen uns das einfachste, billigste Fahrrad, wir sind ja geschickt und trainiert!” Wir sind in Österreich viel mit dem Rad unterwegs und dachten uns: Das kann ja hier kein Auftrag sein. Und rum um die Orte ist das wirklich alles einfach und flach, aber dazwischen gibt es Strecken: Holy Moly. Wir auf klapprigen China-Rädern. Aber der Ehrgeiz hat uns um den See getrieben.
Die Bilder zeigen die beiden Orte am Sun-Moon-Lake - und einen erneuten Beitrag zu “das ist ja einfach, die sprechen Englisch”. Natürlich kommt man durch, aber das ist wirklich harte Arbeit.





Unterwegs fährt man an mehreren Tempeln unterschiedlichster Religionen vorbei. Schon sehr faszinierend. Und ich gebe zu, seit Taiwan habe ich immer wieder Angst etwas falsch zu machen, denn weder verstehe ich die Kultur noch kann ich irgendwelche Tafeln lesen. Aber ich denke es ist hier alles gut gegangen und ich habe niemanden im Tempel unabsichtlich beleidigt.
Außerdem gibt es den “Nine Frog Stack”, neun Frösche übereinander im Wasser, wo man den Wasserstand ablesen kann und - wie wir erfahren haben - die ein sehr beliebtes Motiv beim taiwanesischen Wetterbericht (bzw. bei Unwetterberichten) ist. Bei unserem Besuch waren fünf der neun Frösche zu sehen und wir haben keine Ahnung ob das gut oder schlecht ist.







Die zweite große Attraktion sind Bootsfahrten - was wir natürlich auch nicht auslassen konnten. Aber eigentlich nur einmal über den See nach Ita Thao, denn der Ort gefiel uns ganz gut und wir wollten diese Arm-Greif-Spielautomaten ausprobieren. Und was soll ich sagen, Steffi hat ein gewisses Spielsucht-Potenzial, man betrachte nur den fokussierten Blick - aber es war erfolgreich.





Weiter ging es dann nach Tainan, die erste und bis ins 19.Jhdt Hauptstadt Taiwans, mit dem taiwanesischen High Speed Train. Rund 150km Distanz - Fahrzeit 47 Minuten. Geschwindigkeiten bis 300km/h sind möglich, ich habe auf der Fahrt maximal 290km/h getrackt. Aber dennoch unglaublich, denn das Ticket hat uns pro Person weniger als € 10,- gekostet, Sitzplatzreservierung ist inkludiert, alles ist sauber und ordentlich und man hat Platz - wir konnten unsere großen Backpacks mit zum Sitz nehmen. Und ja, wir sind klein, aber dennoch - in den meisten Flugzeugen passt nicht einmal ein Toilettetascherl dazwischen. Das Video ist übrigens nicht beschleunigt, das ist einfach gerade aus dem Fenster gefilmt.
Zum Geschichtlichen von Tainan: 1620 wurde von den Niederländern hier eine Kolonialstadt aufgebaut, auch heute kann man noch die Reste der Verteidigungseinheiten der Holländer sehen. Damals lag die Stadt noch an einer Lagune, aber das Land wurde dem Meer abgerungen (die Niederländer wussten schon damals wie man das macht).
Tainan hat uns ganz gut gefallen, weil es recht ursprünglich wirkt und einiges an Geschichte zu bieten hat. Es gibt jetzt nicht die ganz großen Attraktionen, aber das Leben auf der Straße ist spannend und natürlich gibt es Tempel verschiedenster Religion. Für das leibliche Wohl wurde auf den Nachtmärkten gesorgt - das ist wirklich etwas, das ich in Österreich vermissen werde. Bei uns ist Streetfood oft nur überteuerter und gehypter Schmarrn, hier ist es wirklich billig und schmackhaft in cooler Atmosphäre.














Und noch zwei Beizträge zu den - für uns - skurrilen Seiten Taiwans:
In Taiwan gibt es eine Lotterie von Kassenbons. Die Regierung wollte die Steuermoral heben und begann im Jahr 1951 eine Lotterie für Kassenbons zu veranstalten, die es heute noch gibt. Wenn man einen Kassen-Bon bekommt, dann kommt automatisch ein Lotterielos mit. Alle zwei Monate werden die Gewinnzahlen gezogen und veröffentlicht. Die Lotterie ist alles andere als schlecht, denn der Hauptgewinn beträgt zwei Millionen NTD (“Neue Taiwan Dollar”), was etwa 60.000 Euro entspricht. Es gibt verschiedene Kategorien und der geringste Preis sind 200 NTD, immerhin noch immer knapp 6 Euro. Dafür müssen die letzten beiden Stellen deines Kassenbons mit der Gewinnnummer übereinstimmen - also einer von 100 gewinnt. Irgendwie keine schlechte Rate für ein Gratisgewinnspiel. Und man sammelt ja doch einige Kassenbons - unsere Guide meinte, dass sie eigentlich immer eine Kleinigkeit gewinnt, sie freut sich sehr und schaut drauf, einen Kassenbon zu bekommen. Irgendwie herrlich einfach.
Übrigens sieht man viele Spendenboxen, wo Menschen ihre Kassenbons (und damit die Gewinnchance) für einen wohltätigen Zweck einwerfen. Und damit es nicht so kompliziert wird, gibt es in Taiwan auch eine App, wo man die Kassenbons elektronisch und automatisch tracken kann, damit die Auswertung bzw. Einreichung nicht zu kompliziert wird.
Unsere Lotterielose - haben wir unserer Guide in Tainan gegeben. Und sie wollte es sofort einem Tempel spenden…
Ebenfalls sehr schräg ist das Müll-System in Taiwan. Weder gibt es wie in Europa “Haus-Mülltonnen”, die man rausstellt wenn die Müllabfuhr kommt, noch wirft man die Müllsäcke wie in den USA auf die Straße, sondern man wartet mit seinem Müllsack geduldig auf die Abholung. Der Müllwagen wird durch Musik angekündigt (“Pour Elise” von Ludwig van Beethoven), wobei man den Wagen über einige Blöcke schon hört. Dann kommt die Karawane, wobei ein Wagen sogar für Recycling zuständig ist. Über die Effizient so einer Müllentsorgung mag ich nicht urteilen, aber es hat einen sozialen Effekt, wenn sich alle auf der Straße treffen. Sehr skurril in meinen Augen.
Und als letzter Punkt, ich gebe offen zu, dass mich das fasziniert, nervt, irritiert - die Sprache und die Schrift. Ich habe inzwischen extremes Verständnis, wenn Chinesen bei uns wie Vollidioten im Weg stehen und die einfachsten Sachen nicht begreifen: Sie können es schlicht nicht lesen. Nach ein paar Tagen vor Ort haben wir einen gewissen Plan und kommen schon durch - manche Zeichen erkennen wir sogar, aber irgendwas zu verstehen ist einfach unmöglich. Und da passiert es dann halt auch, dass man wie ein Depp vor einem Automaten steht und ihn nur anstarrt. Bei unserer Stadttour in Tainan hat unsere Guide uns durch das Menü geführt, drum wissen wir was wir hier drücken müssen.
Ach ja, falls jemand meint “Stell halt auf Englisch um!” - diese Funktion gibt es leider nicht, man muss sich so durchkämpfen.
Taiwan war eine tolle Erfahrung, die unsere Erwartungen übertroffen hat. Sie sind sehr westlich orientiert, aber dennoch ethnisch chinesisch, was eine spannende Kombination ist. Die Schrift war für uns eine Katastrophe, aber mit Google Lens (praktisch einer fantasievollen Live-Übersetzung) schon machbar. Die Menschen sprachen selten Englisch, waren aber durchwegs freundlich und gewillt, die Mühe mit uns auf sich zu nehmen - dann arbeitet man halt mit Übersetzungen, Händen und Füßen.
Und zu guter Letzt, was für mich wirklich spannend war, es ist nicht so, dass die Taiwanesen das Chinesische per se ablehnen, sie sehen sich selbst als Teil der chinesischen Kultur, aber sie wollen kein Teil des heutigen Chinas sein. Ich drücke den Taiwanesen die Daumen, dass sie noch lange ein eigenes Land sein können - auch wenn es tatsächlich angsteinflößend war, dass in Tainan täglich Kampfjets ihre Kreise über der Stadt zogen.